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Medizin

Die katholische Kirche des Mittelalters war der Wissenschaft alles andere als zugeneigt. Insbesondere galt das aber für die Medizin, da sie die Meinung vertrat, nur Gott könne einen Menschen heilen. Kranke sollten also zum Priester gehen. Die Arzeneikunde wurde als teuflischer Betrug angesehen, da man in ihr mangelnden Glauben sah. Kräuter zu benutzen statt Gott zu vertrauen - war das nicht Götzendienst? Wurden nicht dadurch irdische Dinge verherrlicht? Besonders die Chirurgie war von der Kirche verboten.

Man ging sogar soweit, Kranken nur zu helfen nachdem sie gebeichtet hatten. Man sah Krankheit als Folge von Sünde an. Da nun das Seelenheil wichtiger ist als die Gesundheit des Körpers, muß einer Heilung immer die Buße vorausgehen. Wer sich weigerte, mußte selbst zusehen, ob ihm jemand hilft. Wer es aber wagte, sich von einem nichtchristlichen Arzt, Juden oder Araber behandeln zu lassen, riskierte, aus der Kirche ausgeschlossen zu werden.

In der islamischen Welt bot sich dagegen ein völlig anderes Bild. Allein in Cordoba gab es Mitte des zehnten Jahrhunderts etwa fünfzig Krankenhäuser. Dort gab es Operationssäle, orthopädische Stationen, Hörsäle für Studenten sowie eine angeschlossene Krankenhausapotheke. Ähnliche Verhältnisse herrschten damals in Bagdad. Die Lage der Krankenhäuser war nach hygienischen Aspekten ausgewählt. Es gab fließendes Wasser aus dem Tigris für die täglichen Waschungen der Patienten. Die Verpflegung war sehr gut und kostenlos. Da die Krankenhäuser Unsummen an laufenden Kosten verschlangen, bestritt man sie aus dem staatlichen Grundbesitz, mit dem sie bei ihrer Gründung reich versehen wurden.

Wer sich als Arzt niederlassen wollte, mußte einen amtlichen Befähigungsnachweis erbringen. Der Ärztestand wurde durch strenge Auslese verteidigt. Bei Operationen assiestierte ein Arzt dem anderen wie heutzutage bei uns.

Einer der größten Ärzte, die je gelebt haben war Abu Bekr Muhammad ben Sakerija, den die Araber ar-Rasi (Rhases) nannten. Er stammte aus Chorasan. Vor sechshundert Jahren besaß die Pariser Medizinische Fakultät die kleinste Bibliothek der Welt. Sie bestand genau aus einem Buch, und zwar aus dem Werk dieses Mannes. Er war auch der erste, der die Chemie in den Dienst der Medizin stellte. Neue Medikamente wurden zunächst in Tierversuchen getestet.

In Bagdad lernte er im Medizinstudium die griechische, persische, indische und die junge arabische Heilkunde kennen. Schließlich wurde er Chefarzt am großen Krankenhaus der Anderhalbmillionen-Hauptstadt, wo er unter hundert Bewerbern für diese Stelle ausgesucht wurde.

Ohne Beispiel in der Geschichte der Medizin ist der "Kanon" des ibn Sina (Avicenna). Er wird auch der "Fürst der Ärzte" genannt. Es beschreibt den ganzen Umfang der theoretischen wie praktischen Medizin in systematischer Weise. Die noch heute übliche Sitte, Pillen zu vergolden und zu versilbern geht auf ihn zurück.

Neben der Einführung des Krankenhaussystems gründeten die Araber im achten Jahrhundert als erste öffentliche Apotheken. Diese wurden regelmäßig von der Gesundheitspolizei überprüft. Sie überprüfte auch den Lebensmittelhandel, um Seuchen und Lebensmittelvergiftungen vorzubeugen.

Das islamische Gesundheitssystem wurde schließlich auch im Abendland eingeführt. Schnittstelle zum Abendland war im 13. Jahrhundert Kaiser Friedrich der II. in Sizilien. Er begann mit der Einführung des islamischen Gesundheitssystems in Europa. Für die abendländische Geistlichkeit, war es eine Provokation, daß das Gesundheitswesen nun in die Hände des Staates kam. Papst Gregor IX. ermahnte den Kaiser öffentlich, diesem ruchlosen Treiben ein Ende zu setzen. Dennoch war Friedrichs Schritt grundlegend für alle späteren Medizinalverordnungen im Abendland.