Die politische Zersplitterung der islamischen Welt
Die Periode der politischen Emanzipation vom Bagdader Kalifat setzt in den einzelnen Ländern zu verschiedenen Zeiten ein: schon Mitte des achten Jahrhunderts im Westen, in der Mitte des neunten Jahrhunderts in Zentralasien, unterschiedlich im neunten und zehnten in den anderen Ländern.
Der Westen
Bereits Mitte des achten Jahrhunderts hatte der Umaiyade `Abdarrahman, der dem Blutbad der abbasidischen Revolution entronnen war, im ganzen arabisch-berberischen Bereich Spaniens Anerkennung als Emir gefunden. Die Chajiriten gründeten ebenfalls unabhängige Fürstentümer. Der Alide Idris machte sich 789 zum Herrn des islamischen Marokko.
Die einzige Reaktion, zu der sich das abbasidische Kalifat angesichts dieses gefährlichen Zerfalls aufraffte, geschah im Zuge der Neuorganisation der Grenzgebiete durch Harun ar-Rasid, der aus Tunesien und dem östlichen Teil des heutigen Algerien die Provinz Ifriqiya als selbständige Grenzmark schuf und Ibrahim ibn al-Aglab damit betraute. Die Dynastie der Aglabiden stellte zwar, vom Westen gesehen, die Verbindung zum Osten her und repräsentierte die Hoheit des abbasidischen Kalifats, dem sie theoretisch untergeordnet war, gelangte aber in Wirklichkeit zu völliger Autonomie. So entglitt etwa von 800 an der ganze Westen der politischen Führung Bagdads.
Im neunten Jahrhundert wurde dann Sizilien erobert. Die aglabidische Epoche brachte wirtschaftlich einen Aufschwung mit sich, wie ihn Nordafrika seit der römischen Herrschaft nicht mehr gesehen hat.
Am Anfang des zehnten Jahrhunderts gelang es den Fatimiden, die Aglabiden zu stürzen. Die Fatimiden verweigerten dem abbasidischen Kalifat den Gehorsam und erklärten sich selbst zu Kalifen, was die spanischen Umaiyaden veranlaßte, den gleichen Anspruch zu erheben.
Die Fatimiden verlegten nun ihren Sitz vom Maghreb nach Ägypten in die neugegründete Hauptstadt Kairo.
Nach schwierigen Anfängen wird nun das islamische Spanien zum wichtigsten Land des westlichen Islams, eines der wichtigsten der islamischen Welt überhaupt und in einem gewissen Grad ein zweiter Pol seiner Kultur.
Iran, Zentralasien und Irak
Die Bedeutung der asiatischen Länder, Chorasan und der Nordosten Irans mit einbegriffen, kann für den mittelalterlichen Islam kaum genug hervorgehoben werden. Ihnen verdankten die Abbasiden den Aufstieg zur Macht und in der Folgezeit die Hauptkraft ihrer Armee, einen Teil ihrer Verwaltungsbeamten und eine hervorragende Zahl von Schriftstellern und Gelehrten. Die tragenden Bevölkerungsschichten hatten sich endgültig mit einer Zukunft im Rahmen der neuen islamischen Kultur abgefunden und waren bereit, daran mitzuwirken.
Obgleich Bagdad auf arabischem Boden lag, schloß es sich der Irak in vieler Hinsicht, vor allem politisch, an Iran am engsten an.
Im äußersten Iran vollzog sich die Loslösung von der Zentralregierung schrittweise.
Im Iran blühte die Kultur besonders stark auf, man denke an geistige Größen wie den Philosoph und Arzt Ibn Sina (Avicenna).
Das arabische Asien (ohne den Irak)
In der gleichen Epoche, in der sich die politische Befreiung des westlichen Iran vollzieht, bilden sich unabhängige arabische Dynastien im westlichen Asien. Dies mag zwar paradox erscheinen, aber es hing mit dem Zusammenbruch des zentralisierten abbasidischen Systems zusammen: jede Region nahm ihre Geschicke wieder selbst in die Hand.
Die Geschichte Arabiens ist für die weitere Entwicklung völlig nebensächlich geworden. Es ist nur noch wegen der Pilgerreisen interessant.
Ägypten
Ägypten wurde zur stärksten Macht der arabischen Welt. Es hat seine alte, antike Organisation immer beibalten und so in der von dem Islam unterworfenen Welt immer sein eigenes Gesicht behalten. Im neunten Jahrhundert war die Mehrheit der Bevölkerung noch christlich, vor allem koptischer Konfession.
Schon um der Handelsbeziehungen willen war eine gute Beziehung zu Christen und Juden anderer Staaten notwendig. Das war aber kein Problem, da die Fatimiden ihre eigenen christlichen und jüdischen Untertanen außerordentlich entgegenkommend behandelten.
Diese Atmosphäre der Toleranz wurde durch das Zwischenspiel - mehr war es nicht - der Regierung al-Hakims (996 - 1021), des dritten Fatimiden Ägyptens, grausam gestört. Von Anfang an erregten sein befremdliches, unberechenbares Verhalten, seine nächtlichen Wanderungen, später seine extreme Askese, Betroffenheit und Unruhe bei seiner Umwelt. Zur Reinigung der Sitten traf er drakonische Maßnahmen: Verbot aller vergorenen Getränke und bestimmter Speisen, Verbot öffentlicher Lustbarkeiten, Verfolgung der Astrologen, ferner Moralvorschriften, die soweit gingen, daß er Männern den nächtlichen Ausgang und Frauen sogar jeden Ausgang verbot und die Herstellung von Frauenschuhen untersagte. Alle Zuwiderhandlungen wurden mit der Todesstrafe bedroht. Plötzlich aber, während der Lockerungen dieser Verbote, begann er mit einer grausamen Verfolgung von Juden und Christen (1008). Er verbot ihnen Wein und Schweinefleisch und führte die diskriminierenden Kleidervorschriften wieder ein, nach denen die Juden z.B. eine Glocke um den Hals tragen mußten. Diese Verfolgung ging bis zum Jahre 1013.
Hakim untewarf sich nun allen Forderungen strengster Frömmigkeit, nahm kein Interesse mehr an der Regierung, vervielfachte die Almosen und ritt auf einem Esel umher. Zu diesem Zeitpunkt traten zwei Perser auf, Hamza und ad-Darazi, und verkündeten die Lehre, daß Hakim die göttliche Vernunft verkörpere, die höchste Inkarnation Gottes außerhalb seines unaussprechlichen Wesens. Hakim förderte die Verbreitung dieser Lehre und nahm grausame Rache an Aufständischen, die sich dagegen erhoben hatten. Doch fand sie bleibende Anhänger nur bei einer Gruppe der libanesischen Bevölkerung, die wir nach Darazi noch heute die Drusen (Duruz) nennen; sie leben jetzt in Hauran. Für Hakims Verhalten gibt es, wenn man ihn nicht einen Wahnsinnigen nennen will, keine einleuchtende Erklärung. So blieb denn auch sein Tod von einem ungeklärten Geheimnis umgeben: er ging eines Abends fort, trennte sich von seinen Begleitern und verschwand - vielleicht wurde er das Opfer eines Mordes. Die Drusen jedoch glauben, er sei "verborgen" und werde eines Tages wiederkehren.