Die Osmanen
Am Beginn der zwei oder drei Jahrhunderte des ausgehenden Mittelalters (eine dem Orient wenig angemessene Bezeichnung) steht die mongolische Invasion. Die mongolische Zäsur war tief, stärker als die türkische. Das gesamte Gefüge des Nahen und Mittleren Ostens wurde erschüttert, und zwar ebensosehr in den Staaten, die dem eindringenden Feind widerstanden, wie in jenen, die unterworfen wurden. Andere Umstände kamen hinzu, um der islamischen Geschichte eine entscheidende Wendung zu geben, vor allem die aufstrebende Kraft des Abendlandes sowie der Verfall und der Untergang des Byzantinischen Reiches, an dessen Stelle das osmanische trat. Aber schon bevor die Osmanen ihre Herrschaft voll entfalteten, haben die großen Entdeckungen des Westens den Umsturz des wirtschaftlichen Systems, auf dessen Grundlagen das mediterane Mittelalter ruhte, und damit den Niedergang seiner Kultur besiegelt.
Wir sahen, wie die islamische Welt sich den mongolischen Angreifern gleichsam als Beute dargeboten hatte. Anders als die Türken, die halb islamisiert und schon vor ihrem Aufstieg zur Macht keine Unbekannten mehr waren, erschienen die Mongolen in den Augen der Muslime wie der Christen des Orients als Fremde und völlige Barbaren. Gewiß, einige dieser Christen hatten sich zu ihren Knechten und Helfern gemacht, und moderne Historiker haben Europa mit falschem Bedauern vorgeworfen, daß es die zur Vernichtung des Islams sich bietende Chance nicht zu nutzen gewußt habe. Sie vergessen dabei eines, daß nämlich das Blutbad, welches die Mongolen unter den Christen im östlichen Europa anrichteten, dem in nichts nachstand, das sie den Muslimen in Vorderasien bereiteten. Die vom Mongolensturm verschonten, außerhalb ihres Staates lebenden Muslime konnten denen nicht verzeihen, die sich als Nachbarn oder Untertanen zu Helfeshelfern des Volkes gemacht hatten, durch welches der Islam samt seiner Kultur beinahe ausgelöscht worden wäre. Die Bereitschaft zur Koexistenz, die sich den syrischen Franken gegenüber eingestellt hatte, wich nun einer wilden Entschlossenheit, sie zum Meere zurückzuwerfen; ihre armenischen Verbündeten vo Kilikien, die keine Zufluchtsstätte hatten, wurden nach und nach ausgerottet, die eingeborenen Christen, sändigem Mißtrauen ausgesetzt, wurden von nun an gedemütigt, so wie manchmal, wenn auch aus anderen Gründen, die Juden.
Freilich vollzieht sich in allen Nationen eine konfessionelle Verhärtung, und das Europa der Inquisition hat dem Islam nichts vorzuwerfen. Auch nach der Schwächung der Mongolen blieb im Orient infolge des europäischen Wachstums der Argwohn gegen die Glaubensgenossen der Italiener, Katalanen und Provenzalen, die nun die Herren des Mittelmeeres waren, erhalten. Aber wir werden sehen, wie schon die mongolische Herrschaft selbst auf ihre Weise zum Verfall der nichtislamischen Gemeinschaften beiträgt. Am Ende des Mittelalters sind die nichtislamischen Religionen - die europäischen Gebiete des Osmanischen Reiches natürlich ausgenommen - teils verschwunden, teils zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken.
Der Mittelpunkt der islamischen Welt ist nun Ägypten, das durch das Militärregime der Mamluken eine gewisse Stabilität erreicht hat. Die christlichen Fürstentümer werden nun nicht mehr geduldet.
Dennoch kann sich ihr Regime nur ein dreiviertel Jahrhundert halten. Durch die Entdeckung Amerikas am Ende des 15. Jahrhunderts wrid der direkte Seeweg zwischen Portugal und Indien aufgenommen, was die Wirtschaft des Mamlukenstaates tödlich trifft. Im Jahre 1516/17 fällt ihr Staat den Osmanen zu, deren Herrscher zu dieser Zeit Selim ist.
Von Ägypten aus findet die Verbreitung des Islams rings um den Indischen Ozean ihren Abschluß, während die nordindischen Reiche ihm den Zugang zum Subkontinent öffnen.
Mit außerordentlicher Kraft und Schnelligkeit vermochte sich der iranische Islam wiederaufzurichten, und er zeigte sich der ägyptisch-arabischen Vitalität durchaus ebenbürtig. Gegen 1260 wurde das von den Mongolen eroberte Imperium in vier Königreiche aufgeteilt: das Reich der Ilchane (der Nachkommen Hülegüs) in Iran und Mesopotamien, die Reiche der Goldenen Horde in Rußland udn der Cagatayiden in Zentralasien, die für uns weniger bedeutsam sind; und das Reich in China, von dem hier nur zu sagen ist, daß zu seiner Zeit infolge der innermongolischen Beziehungen der Islam nach China eindrang.
Durch den Einfluß der Mongolen enstanden Handelsbeziehungen von einem Ende Asiens bis zum anderen. Einer der bekanntesten italienischen Kaufleute aus dieser Zeit ist Marco Polo. Für Europa wurde der Blick für China geöffnet.
Angesichts des niedrigen Kulturniveaus der Mongolen mußten die Überlebenden wieder da ansetzen, wo die Entwicklung des geistigen Lebens zuvor unterbrochen worden war. Im Iran kennt inzwischen, von einigen Spezialisten abgesehen, niemand mehr das Arabische. Alle Werke sind in Persisch geschrieben.
Unter den Turkmenen entwickelen sich zwei Gruppen, die sich in der zweiten Hälfte des 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts die Herrschaft im östlichen Kleinasien streitig machen: die "Weißen Schafe" und die "Schwarzen Schafe". Dazu kommen religiöse Gegensätze: die "Weißen Schafe" sind Sunniten, die "Schwarzen Schafe" Schiiten.
Der Staat der Cagatayiden hat von einem der Söhne Cingis-Chan seinen Namen. Obwohl die alten islamischen Gebiete Transoxaniens zu seinem Herrschaftsgebiet gehörten, war dieser Staat der schwächste und kulturell wie wirtschaftlich rückständigste. Auch hier unterwarf mit der Zeit der Islam sein Besieger, allerdings in einer besonders veräußerlichten und dabei starren Form. Hier wurde Timur Leng ("der Hinkende") geboren, unter dem Namen Tamerlan weltweit bekannt und berüchtigt.
Dieser Mann, der sich - grausamer noch als Cingis-Chan - den Ruf des größten Menschenschlächters der Geschichte erwarb, war ungebildet und brutal, aber ein großer Heerführer. Indem er mongolische Tradition mit Tugenden seines islamischen Glaubens vereinigte, wußte er eine anfangs kümmerliche, jedoch fanatisiert Armee zur Eroberung der Welt und Vernichtung der politischen und religiösen Feinde mitzureißen. Während der letzten Jahre des 14. Jahrhunderts verbreitete er vom Innern Rußlands bis nach Nordindien, von den Grenzen Chinas bis nach Syrien und Kleinasien Entsetzen und Tod. Seine Taten beschäftigten die Phantasie der Welt; überall sprach und schrieb man von ihm. Nicht nur seine iranischen und arabischen Bibliographen aus dem Osten, sondern auch der westliche Muslim Ibn Chaldun und der Gesandte Clavijo aus dem christlichen Spanien schilderten seine Taten. Dennoch kann sich sein Werk nicht mit dem Cingis-Chans vergleichen. Auch die ersten Mongolen richteten zwar ungeheuere Verwüstungen an, aber sie schufen doch ein Reich, das seine positiven Seiten hatte und eine gewisse Zeitlang von Bestand war. Timur hinterließ nichts als Ruinen. Wohl fühlte er, daß er zur Verherrlichung seines Ruhmes eine glanzvolle Hauptstadt brauchte, und so deportiert er eine gewaltige Zahl von Handwerkern und Künstlern aus den eroberten Ländern, um seine Residenz Samarqand ausbauen und prächtig schmücken zu lassen. Aber es konnte nur eine künstliche Schöpfung werden, deren Lebensdauer hundert Jahre nicht überschritt und mit dem Blut und den Tränen des halben Orients erkauft war. Allenthalben gab die sinnlose Zerstörung des Landes und seiner Ordnungen dem Nomadentum und dem Autonomiestreben turmenischer Stammesorganisationen so starken Auftrieb, daß nach Timurs Tod (1405) die Macht der Nachfolger bald zerfiel.
Das Byzantinische Reich wurde schließlich durch das Fürstentums Osmans eingekreist. Durch eine Art "Knabenlese" schaffte es das Osmanische Reich, seiner Armee die nötigen Kräfte zuzuführen. Im Jahre 1453 wird Byzanz (Konstantinopel) von Muhammad Fatih eingenommen. Dies war das Ende des tausendjährigen Oströmischen Reiches. Unter der osmanischen Führung wuchs Kleinasien langsam wieder zu einer Einheit zusammen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gelang es den Osmanen, sich zu Herren in ganz Mesopotamien zu machen, und 1517 bereitete Selim dem Staat der Mamluken ein Ende. Seinen Sieg verdankte er nicht zuletzt den überlegenen Feuerwaffen seines Heeres, wohingegen die Mamluken den Aufbau einer Artillerie vernachlässigt hatten. Unter Selim (1512-1520) und Sulaiman (1520-1566) gelangte das Reich auf den Gipfel seiner Macht. Als die Osmanen bis zum Jemen und nach Algerien vordrangen, lag die Herrschaft fast der gesamten arabisch sprechenden Welt in ihrer Hand, und die Eroberung von Rhodos (1522), Zypern (1570) und Kreta (1669) brachte auch die Seefahrt im Mittelmeer unter ihre Kontrolle.
Im Jahre 1492 erlag das Königreich Granada und fiel zurück an das christliche Europa. Der Islam gewann jedoch neuen Boden bei den primitiven Kulturen im schwarzen Afrika und auch in Südostasien.