Die Seljuqen
Das bedeutungsvollste Turkvolk waren die Seljuqen. Ihr Ahnherr Seljuq stand bereits in hohem Alter, als er sich zum Islam bekehrte. Zwei andere Führer dieses Stammes, (Cagrï-Beg und Togrïl-Beg) ließen sich in Chwarism nieder. Die Stammesgruppen, die sich ihnen anschlossen, wurden Turkmenen genannt.
Cagrï-Beg konsolidierte seine Autorität in Chorasan, während Togrïl-Beg sich daran machte, Iran zu erobern. Die orthodoxen Muslime dieser Region hofften, die Turkmenen würden sich gegen die schiitischen Gegner der Sunna richten. Aber die Turkmenen hatten kein Interesse an Politik, sondern waren vielmehr am Kämpfen und Plündern interessiert. Dies entsprach ihrer Gewohnheit. Die Turkmenen legten so den Grund für den Aufstieg der Seljuqen.
Nach der Eroberung des Iran zog Togrïl (1055) feierlich in Bagdad ein und empfing - mit dem Titel eines Sultans und Königs des Ostens und des Westens - Vollmachten des Kalifen. Er verpflichtete sich feierlich, die Ketzerei auszulöschen und den Heiligen Krieg gegen die Fatimiden vorzubereiten.
Allerdings schaffte es weder Togrïl noch seine beiden großen Nachfolger Alp-Arslan (1063-1072) und Malik-Schah (1072-1092) Ägypten zu erobern. Dieses Ziel konnte erst ein Jahrhundert später erreicht werden.
Als der byzantinische Militärkaiser Romanos Diogenes einen Angriff auf die islamischen Grenzen Kleinasiens startete, endete dieser für ihn mit einer Katastrophe (1071). Der Sieger Alp-Arslan dachte jedoch nicht an eine Eroberung Kleinasiens, da ihm hier die islamischen Führungskräfte fehlten und er fürchtete, die Kontrolle über seine undisziplinierten Turkmenen zu verlieren. Selbst jetzt glaubte er nicht an eine mögliche Vernichtung des ewigen "römischen" Reiches und hatte vielmehr die Eroberung Ägyptens im Auge. Byzanz vermochte den Turkmenen aber keinen Widerstand entgegensetzen, und so blieben sie in Kleinasien. Als es schließlich zu Streitigkeiten der byzantinischen Parteien untereinander kam, riefen sie die Turkmenen zu Hilfe und öffneten ihnen die Städte. Im Laufe einiger Jahre wurde fast ganz Kleinasien besetzt, und wenn die Turkmenen auch noch nicht in der Lage waren, einen eigenen Staat zu gründen, so wurde doch der alte durch sie zerstört. Die Grundlage einer neuen Bevölkerung und einer neuen Lebensweise war geschaffen, aus denen die spätere "Türkei" hervorgehen sollte.
Als großer Organisator und Geschichtsschreiber (er hat das persische Buch "Buch der Regierung" geschrieben) ist Nizam-al-Mulk bekannt geworden. Er führte dreißig Jahre die Regierung mit.
Weil die Türken gegen die Kreuzfahrer gekämpft haben, ist bei vielen der Eindruck entstanden, das neue Regime seie besonders intolerant gewesen. Das ist jedoch nicht richtig. Die dimmis (im islamischen Reich lebende Nicht-Muslime) hatten sicherlich ihre frühere Schlüsselstellung verloren. Aber die einzige Verfolgung, die bekannt geworden ist, ist die von Hakim. Die eingeborenen Christen waren mit der Regierung der neuen Herren sehr zufrieden und wären niemals auf die Idee gekommen, das Abendland um "Befreiung" anzurufen.
Einzig der Sekte der Isma`iliten gegenüber zeigten sich die Sejuqen unduldsam. Die iranische Sekte erstarkte unter dem Agitator Hasan-e Sabbah, der eine terroristische Gruppe führte. Hasan sicherte sich die Ergebenheit seiner Männer, die auch vor Morden nicht zurückschreckten, angeblich durch die Gewöhnung an Haschisch-Getränke (haschisch = Hanf). Man nannte sie daher Haschischiyun. Daher wurde der Name "Assassinen" für die Europäer gleichbedeutend mit "Mörder" (franz. und engl. assassin). Das Opfer des ersten folgenschweren Attentats, das die Sekte im Jahre 1092 verübte, ist Nizam-al-Mulk.
Wenige Monate nach der Ermordung Nizams stirbt auch Malik-Schah. Damit beginnt der Abstieg des seljuqischen Regimes, der ein Jahrhundert später das Ende ihrer Großmachtstellung herbeiführt. Streitigkeiten unter den Familienmitgliedern hatten bei dem Regierungsantritt von Alp-Arslan wie auch von Malik-Schah unterdrückt werden können, doch in dem nun folgenden Jahrhundert sollte die Einheit des Reiches zerfallen.
Chorasan ging unter Sanjar (1118-1157) seinen eigenen Weg, während die westiranischen und irakischen Seljuqen ihre Besitzungen in Syrien und Obermesopotamien teilweise verloren und untereinander uneins waren.
Die Koexistenz zwischen Sultanat und Kalifat entwickelte sich nun dahingehend, daß der seljuqische Herr des Irak (der Sultan also) den Kalifen zum Werkzeug seiner Interessen machte. Der Kalif versuchte, seine Autorität zurückzugewinnen. Zwei Kalifen unternahmen diesen Versuch jedoch zu früh und fanden dabei den Tod. Dennoch wuchs der Einfluß des Kalifats ständig. Die Rückkehr zur Selbständigkeit wurde Mitte des 12. Jahrhunderts praktisch erreicht. Der Irak war nun eine Art kleiner Staat, der von einem Kalifen selbständig regiert wurde, so wie anderswo auch Fürsten verschiedener Abstammung Herren ihrer Provinzen waren.
Der erste Kalif, der wieder als souveräner Herrscher bezeichnet werden kann ist an-Nasir (1180-1225). Er war Sohn einer türkischen Mutter. Er war sicher eine seltsame Erscheinung, doch war er auch die einzige wahrhafte Persönlichkeit an diesem Platz seit dem neunten Jahrhundert. Er suchte Mittel und Wege, dem Kalifat im Rahmen des damals Möglichen wieder eine gewisse Macht zu geben: er hatte eine Armee und unterhielt diplomatische Beziehungen. Besonders aber war er bemüht, alle "geistigen Familien" des Islam um das Kalifat zu sammeln, einschlißlich der Zwölfer-Schiiten.
Nach dem Tod Sanjars (1053) errichten die folgenden Chwarism-Schahs am Ende des 12. Jahrhunderts ein Reich, das dem der Seljuqen (deren Erben sie besiegten und töteten) fast gleichkam. An-Nasir schaffte es, sie außerhalb der arabischen Länder zu halten.